Stellungnahme zur Wiederzulassung von Zuschauern

Hallo Herthaner!

Das Ausleben einer lebendigen, bunten und lautstarken Fankultur wird in deutschen Stadien für längere und nicht absehbare Zeit unmöglich sein. Abstandsregelungen und Obergrenzen für Zuschauerzahlen stehen dem Stadionerlebnis, das wir kennen und uns wünschen, komplett entgegen. Deswegen werden wir Ultras aus der Ostkurve keine Ticketkontingente wahrnehmen und nicht organisiert im Stadion auftreten, solange der Normalzustand in den Stadien gesundheitspolitisch nicht vertretbar ist.

Es hat uns Ultras immer ausgemacht, dass wir Maßnahmen kritisch hinterfragen und auf die Einhaltung von Freiheitsrechten für Fans jeglicher Couleur pochen. Die Maßnahmen, die der Leitfaden der DFL zur Wiederzulassung von Zuschauern vorsieht oder die darüber hinaus aktuell diskutiert und entschieden werden sollen, wie das Verbot von Gästefans, von Stehplätzen und die Personalisierung von Tickets haben wir stets abgelehnt und wir werden es auch weiterhin tun. Für die Mitarbeit an einem Zuschauerkonzept, welches auf solchen Maßnahmen fußt, stehen wir Ultras nicht nur nicht zur Verfügung, sondern lehnen dies auch vehement ab. Während jeder Bürger dieses Landes frei reisen darf, soll Fußballfans – unter dem Vorwand das Reiseaufkommen reduzieren zu wollen – ein pauschales Verbot zum Auswärtsfahren erteilt werden und die Einhaltung von Abstands- und Hygienemaßnahmen soll nur auf Sitzplätzen zu gewährleisten sein. Obwohl der Leitfaden der DFL zur Wiederzulassung von Zuschauern den Fans attestiert, dass „der Fußball stark von seinen Emotionen und den Zuschauern im Stadion lebt“ und die Bundesliga ihre internationale Anerkennung auch den engagierten Fanszenen verdanke, sind es dennoch eben jene, die durch diese Verbote erneut als „verantwortungslos“ stigmatisiert werden. Und das obwohl organisierte Fußballfans deutschlandweit im Zuge der Corona-Krise schnell und selbstlos soziale Verantwortung für die Gesellschaft, deren Teil wir sind, übernommen haben.

Trotz unserer Ablehnung wollen wir definieren, was für uns erforderlich ist, damit nach dem Ende der Pandemie die Rückkehr zu einem organisierten Auftreten im Stadion für uns möglich sein wird. Mit der Diskussion um eine Wiederzulassung von Zuschauern werden neue Sicherheitsmaßnahmen diskutiert und längst vergessen geglaubte Gespenster, etwa die Verwendung von Nacktscannern oder die Personalisierung von Eintrittskarten, schleichen sich wieder auf die Tagesordnung. Die Corona-Pandemie darf nicht als Vorwand genutzt werden, um durch die Hintertür der Krisenbekämpfung neue Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen dauerhaft einzuführen. Deshalb fordern wir einen klar definierten Mechanismus, der das Zurückfahren aller möglichen neuen Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen gewährleistet! Auch die nun wieder diskutierten Gäste- und Stehplatzverbote werden in unregelmäßigen Abständen von den Sicherheitsorganen ins Feld geführt. Ein zeitweises Entgegenkommen stellt ein Einfallstor für den normalisierten Gebrauch dieser Maßnahmen dar und kann daher nicht entschieden genug zurückgewiesen werden.

Der Leitfaden der DFL zur Wiederzulassung von Zuschauern scheint vor allem einem entgegenwirken zu wollen:
Als die Bundesliga im Mai mit der Fortsetzung des Spielbetriebs unter Zuschauerausschluss begann, wurden vor allem die Fernsehgelder als absolut überlebensnotwendige Einnahmen für die Fußballvereine angeführt und damit die massive Abhängigkeit des Fußballs von dem stetig wachsenden Einfluss der Fernsehindustrie endgültig entlarvt. Damit sah es jeder Stadionbesucher schwarz auf weiß, dass die Fans im Stadion gegenüber den Liveübertragungen im Fernsehen in den Hintergrund geraten sind.

Um die draus resultierenden Proteste verstummen zu lassen und die Fans zu befrieden, sollen nun wieder schrittweise Zuschauer zugelassen werden, sowie Fans an der Ausgestaltung der konkreten Maßnahmen zur Wiederzulassung von Zuschauern mitwirken. Durch diesen Fokus werden die eigentlichen Probleme des Profifußballs verdrängt. Ein Leitfaden, der sich konkret mit den von Fanseite aus angestoßenen Reformideen beschäftigt, fehlt bezeichnenderweise nach wie vor.

Nach anfänglicher Demut und vollmundigen Versprechungen bringen sich nun schon Vereinsvertreter in Stellung, um jegliche Reform des Systems Fußball von vornherein zu verhindern und die Fans, die genau diese Reformen fordern, in Misskredit zu bringen. Die gerechtere Verteilung der TV-Gelder und Medienerlöse, ein Bekämpfen der faktischen Umgehung der 50+1-Regel und verbindliche Maßnahmen für ein nachhaltigeres Wirtschaften im deutschen Profifußball sind die Probleme, die angegangen werden müssen. Die Reform des Systems Profifußball darf nicht in Vergessenheit geraten, noch bevor sich auch nur das erste Mal mit dem Thema auseinandergesetzt wurde.

Ultras Berlin im August 2020