Bereits im Frühjahr kam bei ProFans die Idee auf, nach 2002 in Berlin und 2005 in Frankfurt erneut eine Demo auf die Beine zu stellen, beim Treffen im Sommer wurde dies fest beschlossen und aufgrund der Durchführung in Berlin von unserer Seite angemeldet und die Rahmengrundlagen geschaffen. Die rein formelle Anmeldung erfolgte schnell, jedoch die Genehmigung mit zugehörigem Vorgespräch mit der Polizei fand erst 3 Tage vor der Demo statt. Busparkplätze wurden gesucht, eine Räumlichkeit für die Pressekonferenz über das Fanprojekt gefunden, sowie mögliche Themen für die Demo sondiert. Da unsere Szene den Kopf der Demo bildete, entschlossen wir uns in unserem Block verschiedene Themen aus dem kompletten Demonstrationszug aufzugreifen und eine Art Übersicht zu präsentieren. Mit einer konkreten Teilnehmerzahl konnte bis zum Schluss nicht geplant werden, denn nicht nur die Presse zeigte null Interesse für die Pressekonferenz am Donnerstag vor der Demo und lies die Organisatoren alleine in den Räumlichkeiten, auch konnte man sich nicht sicher sein, mit welcher Zahl nun tatsächlich von den jeweiligen Vereinen zu rechnen ist.
Und dann der Anblick am 09.10.2010! Als man gegen 12Uhr sich am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus traf, konnte man nicht mal daran denken, welche Ausmaße diese Demo haben wird. Was sich dann ab ca. 13:30 Uhr auf der Spandauer Straße abspielte, übertraf so ziemlich alles! Die Eröffnungskundgebung musste wegen der hohen Teilnehmerzahl kurzfristig auf die Karl-Liebknecht-Straße umgelegt werden, was auch ohne Probleme funktionierte. Der Demonstrationszug wollte bei der Umlegung gar nicht mehr enden und schon da wurde die Vielfalt der Demo deutlich! Sprechchöre hallten durch die Straßen, Vereinsfahnen wurden geschwenkt, die ersten Trommelrhythmen schallten in Richtung Fernsehturm, alles war sehr beeindruckend und wohl für jeden Teilnehmer ein unbeschreiblicher Anblick. Das Szenarium wirkte auf einen wie der Karneval der Kulturen für Fußballfans, mit deutlichen Forderungen, die kreativ an jeden herangetragen wurden. Jeder Verein und jede Gruppe vermittelte ihre Themen auf ihre eigene Art, sei es durch Fahnen, Spruchbändern, Schilder, Regenschirme und natürlich auch durch lautstarke Gesänge! Dem Motto „Fußball lebt durch seine Fans“ wurde an diesem Tag mehr als nur ein Stempel aufgesetzt.
Geschätzte 6.000 Teilnehmer hatte diese Demo, eine beachtliche Zahl, die zuvor nie jemand in den Mund nahm und man auch bei weitem nicht vermutete. Umso positiver ist diese Zahl für ProFans als Feedback anzusehen, dass es möglich ist gemeinsam etwas Großes auf die Beine zu stellen, für gemeinsame Problematiken auf die Straße zu gehen und für unsere Rechte zu kämpfen. Jeder Einzelne konnte mit seinem Problem auf der Demo erscheinen und ist nicht allein den Weg des Kritisierens gegangen. Probleme der Spieltagszerstückelung und der Forderung von fangerechten Anstoßzeiten, sowie überteuerte Eintrittskarten waren Thema bei der Demo. Aber auch der Wunsch nach dem legalen Gebrauch von Pyrotechnik in den Stadien, die Forderung von mehr Fan- sowie Materialfreiheiten in den Kurven wurden thematisiert. Auch die Forderungen der Initiative „Pro Regionalligareform 2012“ wurden an dem Tag an die Medien und an das Volk getragen. Die Unterstützung von Fanprojekten, welche gerade die Kommunikation zwischen Verein und Fan stärken sollen, sowie Jugendliche in Ihre Fansein begleiten wurde gefordert, aber auch die stetige Problematik mit der Staatsmacht wurde lautstark kundgetan und die Sondereinsatzgruppen der Polizei für Fußballfans hinterfragt.
Aber vor allem der Aspekt der Selbstkritik wurde an diesem Tag durch mehrere Szenen, Organisationssprecher und Fanvertreter an den richtigen Stellen aufgezeigt und angesprochen. Diese offene Konfrontation, die Augen vor dem eigenen Handeln nicht zu verschließen, kann nun in die Szenen und Gruppen getragen werden und wird wohl unter den meisten konstruktiv aber wohl auch kontrovers diskutiert. Aus unserer Sicht war es der richtige Weg die Thematik des eigenen Handelns auf der Demo anzusprechen und zum Hinterfragen der Sache aufzufordern! Wir können uns gegen so viele Repressalien wehren und lautstark protestieren, wir können die Staatsmacht für unverhältnismäßige und auch fragwürdige Einsätze kritisieren. Wir können immer gestärkt sagen wir kämpfen gegen all das an, aber wir können uns auch mit einigen Handlungen wie geplanten Überfällen, Einbrüchen, Stein- und Flaschenwürfen selbst das Genick brechen! Wir müssen nicht mal weit über den Tellerrand schauen, um zu erkennen wie Staatsapparate und Verbände Gruppen und ganze Kurven verbieten, ein Blick nach Frankreich oder Italien reicht aus.
Die Demo verlief in allem wirklich gut, kreativ und lautstark. „Getrennt in den Farben, vereint in der Sache“ wurde hier wirklich zur Realität. Teilnehmer von mehr als 50 Vereinen aus dem gesamten Land machten diese Demonstration zu einem Erlebnis, welches so wohl niemand erwartet hätte. Jede Ultragruppe, jede Fanvereinigung und jeder einzelne Teilnehmer kann voller Stolz sagen, an diesem Tag den Medien, der Polizei und hoffentlich auch den Vereinen, sowie DFB und DFL gezeigt zu haben, dass der Fußball wirklich nur durch seine Fans lebt. Die Problematik ist und war jedoch, dass Vereine und Fans seit jeher eine unterschiedliche Sprache sprechen. Die an Kapitalgesellschaften gebundene Vereine, arbeiten und fungieren als Unternehmen, wollen in der Wirtschaftswelt an Wert gewinnen, den Profit steigern, um beständig zu sein und wirtschaftlich zu wachsen. Inwieweit können wir Fans hier noch mitwirken oder gegensteuern? Inwieweit akzeptieren wir diesen modernen Fußball? Es wäre zu einfach, wenn man sagt, man dreht der Kommerzialisierung des Fußballs den Rücken zu, denn wir stecken seit vielen Jahren mittendrin! Wir müssen an höherer Stelle bei DFB und DFL unsere Forderungen nach Fanfreiheiten, soliden Eintrittspreisen und fangerechten Anstoßzeiten ergiebiger einfordern ohne selbst dabei ein Teil der Kommerzialisierung zu sein!
Die Demonstration am 09. 10. 2010 kann und darf nur der Anfang eines Prozesses sein, nun gilt es die Thematiken kontinuierlich in die Kurven und an die Vereinen heran zu tragen und ein deutliches Zeichen an die DFL und den DFB zu geben. Fußball lebt durch seine Fans!
Harlekins Berlin ´98 – im Oktober 2010