ProFans kritisiert Personalienabgabe für Fanutensilien

Pünktlich zur Planungsphase der neuen Saison fordert ProFans mehr Freiheiten im Umgang mit Fanutensilien. Die bei ProFans organisierten Gruppen verfolgen mit Besorgnis, dass immer mehr Vereine in Deutschland grundlegende Fanutensilien – insbesondere für Gästefans – nur noch gegen die Abgabe von Personalien während des Spiels gestatten. Konkret geht es um Materialien wie Megafone, Trommeln, Schwenk- und Zaunfahnen. Offensichtlich soll mit solchen Maßnahmen ein höherer Grad an Selbstregulierung in den Gästeblöcken erreicht werden.

Das Thema „Fanutensilien“ beschäftigt das Bündnis ProFans seit mehreren Jahren. Die Versuche seitens der Vereine und Verbände auf dem Weg der Beschränkung und Zulassung von Fanmaterialien die Fanszenen gleichsam zwanghaft zu erziehen, wird sehr kritisch betrachtet. „Eine Selbstregulierung, die eigentlich eine aufgezwungene Regulierung von außen ist, funktioniert nicht und wird auch in Zukunft nicht gelingen“ so Jakob Falk von ProFans.

Im Selbstverständnis von ProFans heißt es: „Fankultur braucht Freiheit. Eine bunte, kreative und laute Fankultur, die auch selbstregulierend tätig werden kann, braucht Freiheit.“ Eine solche Freiheit besteht nicht, wenn Fußballfans sogar beim Thema Fanutensilien von vornherein Misstrauen entgegen gebracht wird. Fanmaterialien wie Trommeln und Fahnen sind ein Ausdruck positiver Fankultur. Fahnenmeere und laute Gesänge, die von mitreißenden Trommelrhythmen begleitet werden, erzeugen die Atmosphäre, die den Fußball so anziehend und besonders macht. Diese Utensilien sind die Grundlage für jegliche Kreativität und Euphorie bei der Unterstützung der jeweiligen Mannschaft. Hier ist nicht die Rede von gefährlichen Gegenständen, die als Waffen benutzt werden könnten. Welche Verbrechen sollen mit Fahnen, Trommeln oder einem Megafon verübt werden? Wie viele Straftaten wurden durch solche Utensilien in den letzten Jahren begangen? Denken Sicherheitsbeauftragte und Verantwortliche solcher Modelle, dass jemand seine Trommel Woche für Woche und Jahr für Jahr bei Auswärtsspielen durch das Land schleppt, um sie als Wurfgegenstand in das Fangnetz eines x-beliebigen Gästeblocks zu schleudern? Solche Mutmaßungen sind schlichtweg absurd.

Mit einzelnen Vorkommnissen in der Vergangenheit (etwa Trommelstockwurf in Hamburg 2005) die repressiven Maßnahmen zu begründen ist eine Kriminalisierung und Bestrafung aller Fußballfans für das Vergehen einiger sehr weniger. ProFans macht deutlich, dass es hier nicht um die Deckung von Straftaten geht. Wenn jemand körperliche Gewalt gegenüber anderen Menschen ausübt, ob mit oder ohne Tatgegenstände, darf er sich über folgende Strafen nicht wundern. Es ist indes jedoch mehr als nur schwer vorstellbar, dass unvorhergesehene Situationen, in denen es etwa zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, präventiv verhindert werden können, in dem im Vorfeld ein Trommelbesitzer seinen Personalausweis abgegeben hat. Das gilt erst recht für Fans, die es möglicherweise bewusst auf eine Auseinandersetzung anlegen. „Wer auf Krawall gebürstet ist, dem ist es egal, ob eine Schwenkfahne erlaubt oder verboten ist“ erläutert Jakob Falk. Ohne an dieser Stelle auf die Diskussion um Pyrotechnik eingehen zu wollen, hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass selbst komplette Materialverbote vielerorts die Fanszenen nicht daran gehindert haben Pyrotechnik einzusetzen, sondern sie – ganz im Gegenteil – dazu gebracht haben Pyrotechnik als Ausdruck ihres Protestes „erst recht“ einzusetzen. Von Konflikten wegen des Einschmuggelns von im Vorfeld verbotenen Fanutensilien ganz zu schweigen.

Inwiefern dem Datenschutz mit den angesprochenen Maßnahmen entsprochen wird, ist zudem fraglich. Der betroffenen Person vor Ort ist es nicht möglich nachzuvollziehen, wer ihre Daten zu welchem Zweck zu Gesicht bekommt und was genau mit den Daten geschieht. Es gibt keine Möglichkeit für eine betroffene Person sicherzustellen, dass es keine Datenweitergabe (etwa an die Polizei), keine Datenspeicherung (auch im Falle von keinerlei Vorkommnissen) und keinen Datenmissbrauch gibt. Gesamtgesellschaftlich wird mit dem aktuellen Vorgehen eine weitere kleine Lücke geschlossen, das Bild eines gläsernen Bürgers zu vervollständigen. Mit einer Personalienabgabe verbunden, können theoretisch umfassende Informationen über das Bewegungsmuster einer Person gesammelt werden. Entsprechende Datenschutzkonzepte der Vereine und des DFB/ der DFL, zum Umgang mit Personendaten bei Fanutensilien liegen ProFans nicht vor.

Völlig unklar bleibt derweil, was eigentlich rechtlich passiert, wenn es theoretisch zu Straftaten kommt, obwohl jemand seine Personalien abgeben hat. Muss die Besitzerin einer liebevoll gestalteten Schwenkfahne dafür haften, dass andere in ihrem Rücken Lust darauf hatten Rauchpulver zu zünden? Was passiert, wenn ein Betrunkener dem Trommler den Stock aus der Hand reißt und auf das Spielfeld wirft und möglicher Weise noch einen Ordner trifft? Welche Folgen sind denkbar? Stadionverbot? Eintrag in die Datei Gewalttäter Sport? Verurteilungen zu exorbitanten Geld- oder sogar Freiheitsstrafen? Welche erheblich negativen Folgen ein solches Prozedere auf das finanzielle, soziale und vor allem private Leben der betroffenen Person haben kann, ist hinreichend bekannt. Nach dem Einschüchterungsprinzip setzen hier also die Erpressungsversuche der Verantwortlichen an. Vermutlich wird im Fall des Falles für die Person, die den Personalausweis abgegeben hat, die einzige Chance einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen sein, dass sie gegen andere Fans aussagt.

Bewusst wird hier auf eine Selektion hingearbeitet. „Vernünftige“ sollen sich gegen „weniger Vernünftige“ aussprechen. Dies sollen sie möglichst nicht erst nach einer möglichen Straftat, sondern bereits im Vorfeld tun. Auf eine subtile Art und Weise wird hier daraufhin gearbeitet den sogenannten „Selbstreinigungsprozess“ in den Fanszenen voranzutreiben. „Wahre Fans“ sollen sich gegen „Falsche Fans“ stellen, „Richtige Fans“ gegen „Sogenannte Fans“, „Gute“ gegen „Böse“, die „Mehrheit“ gegen die „Minderheit“, etc. Abgesehen davon, dass jegliche Dualismen dieser Art völlig unzureichende, vereinfachende externe Beschreibungen von Fans und Fanszenen darstellen, birgt dieses Vorgehen mehr Risiken als Chancen. „Wer im Interesse der Sicherheit sogar Fans eines gemeinsamen Vereins gegeneinander aufbringt, der hat nicht im Ansatz begriffen was Deeskalation im Zusammenhang mit Fußballspielen bedeutet“ erklärt Jakob Falk weiter.

Es muss darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass auf diesem Wege insbesondere die Stellung und Einflussnahme von Ultras in den Fanszenen vermindert werden soll. Viele Ultragruppen leben und streben nach dem Ideal der Freiheit und Unabhängigkeit in ihren Kurven. Vielerorts müssen sie bereits Materialeinschränkungen hinnehmen, ihre Choreographien, Spruchbänder und Infoflyer anmelden und prüfen lassen. Sie werden sich nicht noch weiter erpressen lassen. Für sie wird daher eine Personalienabgabe für Fanutensilien schwer vereinbar mit ihren Grundsätzen und Überzeugungen sein. Die Verantwortlichen wissen das. Ohne Megafon, Trommel und Co. wird es allein schon rein akustisch den Ultragruppen erschwert Einfluss zu nehmen, die Unterstützung ihrer Mannschaft im größeren Stil zu koordinieren. Die Möglichkeit der Reaktion darauf ist es entweder, dass es Ultras in Kauf nehmen auf größere Einflussnahme bei der Unterstützung der Mannschaft zu verzichten oder, dass sie entscheidende Kernprinzipien ihrer Ideologie aufgeben. In beiden Fällen würden die Ultras und würde das Ausleben von Fankultur erheblich geschwächt. Es wird deutlich, dass hinter der Abgabe von Personalien für Fanutensilien mehr Kalkül steht, also nur eine höhere Gewährleistung der Sicherheit.

Wir fordern im Sinne unseres Einsatzes „Zum Erhalt der Fankultur“ die Vereine und Verbände eindringlich auf diese Maßnahmen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Eine wirkliche Selbstregulierung in den Fanszenen kann nur gelingen, wenn sie aus eigenem Interesse und eigenem Antrieb vollzogen wird. Dazu benötigen die Gruppen und Personen, die Einfluss auf die Fanszenen nehmen können, allerdings überzeugende Argumente. Eine Erpressung von außen ist kein solches, sondern eher ein weiteres Argument für radikale Kräfte in den Fanszenen, sich auf keinerlei Kompromisse einzulassen.

Wir fordern außerdem auch alle Fußballfans auf genau zu überdenken, ob es ihnen wert ist, sich durch eine Abgabe ihrer Personalien für Fanutensilien erpressen, instrumentalisieren und entzweien zu lassen!

„ProFans“ am 27.06.2012