Kurzfristiges Choreoverbot

Hallo Herthaner,

beim gestrigen Spiel war in der Ostkurve Einiges anders als gewohnt – unser Platz unten in der Mitte der Kurve war nur spärlich besetzt, denn der aktive Kern der Harlekins Berlin hatte sich oben im Block postiert, es wurden von unserer Seite keine Lieder angestimmt, unsere Zaunfahne hing nicht und auch die sonst üblichen Schwenkfahnen und Doppelhalter kamen nicht zum Einsatz.

Dafür hing im Oberrang das Spruchband „Wieder ein Verbot – ihr macht die Kurve tot!“.
Vor und während des Spiels wurden wir von vielen Leuten auf diese Situation angesprochen und möchten nun auch für die breite Masse die Gründe und Ursachen für diesen Protest darlegen.
Seit einigen Wochen haben wir uns überlegt, wie wir der Mannschaft gerade in dieser so prekären Lage, vor diesem so wichtigen Spiel noch mal einen zusätzlichen Schub von außen geben können, um eventuell letzte Reserven freizusetzen.
Dies sollte mittels einer Kassenrollen-Choreographie geschehen. Ein weißer Vorhang aus 8.000 gleichzeitig geworfenen Kassenrollen sollte der Kurve eine imposante Verkleidung geben und einen begeisternden Rahmen für den Kampf unserer Jungs gegen den Abstieg gewährleisten.

Nachdem die Aktion Mitte der Woche bereits genehmigt war erhielten wir am Samstagmorgen, als alles bereits organisiert war, der Pritschenwagen für den Transport zum Stadion gemietet war und beladen mit 80 Kartons Kassenrollen, 5 Stunden vor dem Spiel die Nachricht es wäre aus Feuerschutzgründen verboten worden!
Selbst die Tatsache, dass wir bereits in der letzten Saison gegen Rostock eine solche Aktion ohne jeglichen Zwischenfall durchgeführt haben sowie unser Angebot Wassereimer und Leute an jedem möglichen Gefahrenpunkt zu verteilen wurden nicht im Geringsten berücksichtigt.
Gleichzeitig aber verteilen Werbepartner vor den Eingängen Flyer und Prospekte in weit höherer Auflage, von denen der überwiegende Teil auf dem Boden landet, diese sind nicht minder leicht entflammbar als unsere Kassenrollen, stellen aber sicherheitstechnisch scheinbar keine Gefahr dar, denn schließlich kann man damit Geld verdienen. Hier wird ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen – zum Nachteil der Fans versteht sich!

Wenn heute eine Kassenrollenaktion verboten wird, sind dann morgen auch Choreografien mit Zetteln verboten? Große Blockfahnen sind bereits verboten, sollten sie nicht aus schwer entflammbarem Material sein. Übermorgen kommt dann jemand, inmitten eines auf die Fankurven bezogenen fast lächerlichen Sicherheitswahns, auf die Idee Schwenkfahnen und Doppelhalter zu verbieten, schließlich versperren sie das Blickfeld der Kameras, welche die Fanblöcke überwachen. Und darf im Block überhaupt noch gehüpft und gesprungen werden? Nach Meinung der Sicherheitsfanatiker natürlich nicht. Es läuft darauf hinaus uns Fans auf ein Sicherheitsrisiko zu reduzieren, unsere Begeisterung, unsere Kreativität, die Identität die wir unseren Vereinen verleihen können fallen unter den Tisch. Wo soll diese Entwicklung ihr Ende finden?

Wir sagen, sie muss da ein Ende finden wo sie unser Fansein auf ein Minimum an Freiheit und Entfaltung einengt!
Vor dem Hintergrund dass wir in der Vergangenheit immer wieder große Hürden, zum Teil mit fadenscheinigen Begründungen, zu überwinden hatten bis hin zu Verboten, wenn es um kreative Aktionen oder um eine organisierte Fanszene ging, war für uns nun die Schmerzgrenze erreicht! Wir werden uns nicht von einigen Sicherheitsexperten in ein „Eventprogramm namens Stadionbesuch“ pressen lassen – wir kämpfen weiterhin für eine unabhängige, lebendige und kreative Fankultur in unserer Kurve!

Ein wichtiger Fakt an diesem Punkt sollte auch noch einmal verdeutlicht werden: diese Aktion war zwar von den Harlekins Berlin organisiert – doch verboten wurde sie der ganzen Kurve, schließlich wäre jeder Herthaner in der Kurve ein wichtiger Teil der Aktion gewesen!

Weiterhin ist es unsere volle Überzeugung, dass durch dieses Verbot nicht nur den Fans sondern auch der Mannschaft indirekt geschadet wurde – schließlich hat die Vergangenheit bewiesen, wie stimulierend Choreos auf die darauf folgende Stimmung während der Spiele wirken.
Darum muss der Verein endlich einsehen, dass er sich ins eigene Fleisch schneidet wenn Initiative und Kreativität der Fans weiterhin so despektierlich behandelt wird, es muss im Interesse von Hertha BSC liegen den Fans Entfaltungsmöglichkeiten, die stimmungsfördernd sind, auch gegen Widerstände von z.B. der Polizei durchzusetzen!

Ein Vorwurf der von außen unweigerlich kommen wird: Wie könnt ihr (Harlekins Berlin) in der derzeitigen sportlichen Lage der Mannschaft die Unterstützung entziehen?
Dazu ist zu sagen, dass wir in den vorangegangenen Spielen, sei es Bundesliga, Uefa-Cup oder DFB-Pokal die Mannschaft auch dann noch leidenschaftlich unterstützt haben, als ein Großteil der „Fans“ nur noch gepfiffen und geschimpft hat. Gerade bei Rückständen konnte man beobachten wie wenig Herthaner weiterhin gewillt waren dem Team lautstark den Rücken zu stärken – wir waren es zu jederzeit!

Das macht uns nicht besser oder schlechter als andere, steht aber stellvertretend für unsere Einstellung zu Hertha BSC.

Das diese Aktion in einer äußerst unglücklichen (sportlichen) Lage getroffen wurde ist uns natürlich bewusst, sie ist uns auch alles andere als leicht gefallen. Noch dazu haben wir auf Grund der extrem kurzfristigen Absage eine schnelle Entscheidung fällen müssen, die dann logischerweise auch emotional geprägt war. Uns ist bewusst, dass wir damit Kritik ernten können und werden, diese Kritik werden wir annehmen und doch gab es für uns in dieser Situation keine Alternative, hinter der wir mit voller Überzeugung hätten stehen können.
Grundsätzlich allerdings bleibt eines klar:
Wir, die Harlekins Berlin, stehen selbstverständlich auch weiterhin bedingungslos und unverrückbar hinter und zu Hertha BSC und dem gemeinsamen Ziel was uns Herthaner alle verbindet – mit unserer Unterstützung den Abstieg zu verhindern, doch werden wir auch weiterhin auf Missstände reagieren, die einer gut funktionierenden Fanbewegung im Wege stehen.

Harlekins Berlin ´98 – im März 2004