In der laufenden Saison sollten jedem regelmäßigen Stadionbesucher die vielen neuen Zaunfahnen am Oberring unserer Ostkurve aufgefallen sein. Es ist lobenswert und eigentlich selbstverständlich, dass die triste Absperrung in den Farben Blau und Weiß geschmückt wird und nicht so kühl und nackt daherkommt. Schließlich haben wir mit dem Olympiastadion das Glück, genügend Platz für viele Zaunfahnen zu haben.
Entgegen der wahrscheinlichen Erwartungen soll hier nicht das Aussehen oder der Stil – wobei bei einigen Fahnen sicherlich Nachholbedarf bestünde – angeprangert, sondern auf die Bedeutung einer Zaunfahne eingegangen werden. Zuallererst sollte festgehalten werden, dass das Besitzen einer Zaunfahne eine Ehrensache ist. Eine Hertha-Zaunfahne ist nicht irgendein Lappen in Blau und Weiß, sie ist das Herzstück einer jeden Gruppierung oder eines jeden Fanclubs. Sie repräsentiert die eigene Gruppe, die Fanszene und natürlich auch den Verein. Eine Zaunfahne hat eine Aussage: „Egal wie weit der Weg ist, egal ob im In- oder im Ausland, egal ob es gefährlich ist oder nicht… Wir sind heute hier um Hertha BSC zu unterstützen!“ Diese Aussage bzw. das Aufhängen einer Zaunfahne sorgt natürlich immer für Wirbel in den gegnerischen Blöcken, besonders wenn man als Gästefan seine Fahne in einem fremden Stadion präsentiert. Oftmals gibt es dann ein Pfeifkonzert der Heimkurve, besonders laut wird es natürlich wenn man bei einem rivalisierenden Verein antritt, oder es in letzter Zeit öfter Probleme mit den jeweiligen Heimfans gab.
Ein besonderes Erlebnis dieser Art gab es vor einigen Jahren bei einem Testspiel unserer Hertha gegen Galatasaray Istanbul in Izmir. Als die wenigen mitgereisten Herthaner die bekannte „Ultras“-Fahne (Auswärtsfahne: Harlekins Berlin) ausbreiteten, ging ein Sturm der Entrüstung durchs Stadion und wirklich jeder Einheimische pfiff so laut es ging…
Das Zaunfahnen ein begehrtes Diebesgut sind ist nicht neu. Das war früher in der ehemaligen DDR schon so, dass gab es schon zu alten Bundesligazeiten und das ist auch heute noch der Fall, wenn auch in den letzten Jahren wieder etwas intensiver. Zaunfahnen werden und wurden schon immer gerne bei heißen Spielen erbeutet und anschließend dem Gegner unter die Nase gehalten. Es gibt wohl nichts Schlimmeres als eine verlorene Zaunfahne, welche dann im gegnerischen Block auftaucht. Wer also eine Zaunfahne transportiert – am besten immer in einem Rucksack, nie offensichtlich – sollte immer auch damit rechnen, dass es andere Fans und Ultras gibt, welche bei einer guten Gelegenheit es sich nicht nehmen lassen die Fahne zu stehlen. Aus trauriger Erfahrung muss das noch nicht mal bei einem Auswärtsspiel passieren, auch bei unseren Heimspielen wurde schon oft genug versucht eine Zaunfahne zu klauen. Besonders anfällig dafür sind die Zaunfahnen im Oberrang, denn ein Großteil der dort vertretenen Gruppen befindet sich in der Ostkurve und hat deshalb während des Spiels keinen direkten Kontakt zu ihrer Fahne. Versucht deshalb diese Fahnen besonders abzusichern, z.B. indem ihr unten lange Kordeln befestigt und diese dann an den Stühlen in der Ostkurve anbindet.
Doch zurück zur Bedeutung und dem Stellenwert einer Zaunfahne. In den letzten Jahren fallen vermehrt kleine, neue Gruppen zwischen fünf und zehn Mitgliedern auf, deren erste Handlung es ist, eine Zaunfahne zu malen und diese dann im Olympiastadion zu präsentieren. Oftmals handelt es sich dabei um Gruppen die so neu sind, dass sie erst noch in der Entstehung sind bzw. keinem aus der Fanszene bekannt sind und somit keinem Personenkreis zugeordnet werden können. Doch eines sollte jedem Besitzer einer Zaunfahne klar sein: Es gibt das ungeschriebene Gesetz, dass der Platz einer Zaunfahne durch den Stellenwert der Gruppe bzw. die Stellung/den Bekanntheitsgrad der jeweiligen Zaunfahne bestimmt wird. Das bedeutet, dass eine Zaunfahne die seit vielen Jahren regelmäßig bei Hertha hängt, einen bestimmten Platz in der Hierarchie hat. Also hat diese Fahne auch den Anspruch auf einen festen Platz im Stadion, sowohl zuhause, wie auch auswärts. Neue Fahnen müssen sich diesen Status erst erarbeiten und müssen deshalb erstmal mit den äußeren Plätzen vorlieb nehmen. Das ist selbstverständlich und ein Zeichen von Respekt gegenüber den anderen Gruppen bzw. Fahnenbesitzern, welche bereits seit vielen Jahren unserer Hertha hinterher reisen.
Harlekins Berlin ´98 – im März 2014