Das Olympiastadion

In der Hannover Ausgabe des Kurvenecho wollen wir uns mit einem aktuellen und brisanten Thema rund um unseren Verein beschäftigen: Das Olympiastadion! Nachdem beim 2:0 Heimsieg gegen St.Patrick’s im Uefa-Pokal nur eine enttäuschende Zuschauerzahl von 13.000 erreicht werden konnte brach eine erneute Diskussion über Herthas Heimspielstätte los. Durch den Hinweis von Hertha, dass der Mietvertrag im Olympiastadion 2017 ausläuft und nicht entschieden ist wo wir danach spielen, war der Stadionneubau Thema in allen Medien und natürlich auch bei den Stammtischen der Herthaner. Auch beim Fanszenetreffen am 17. Oktober wurde vor 200 Teilnehmern darüber gesprochen. Die geäußerten Meinungen waren in der großen Mehrheit eindeutig für das Olympiastadion. Daher folgt nun ein Diskussionsansatz, der für den Erhalt unserer Heimspielstätte plädiert.

Wie kommt man nun auf die Idee, Hertha brauche ein neues Stadion? Das Olympiastadion sei nach Dieter Hoeness „ …das wohl schönste Leichtathletikstadion der Welt … “, für den Fußballsport aber sei es nicht perfekt. Durch die Größe des Stadions ist der Rasen für das Publikum allerorts nicht nahe genug, die Atmosphäre auf dem Spielfeld ist somit nicht zu spüren. Dies sei der Hauptgrund, dass die Zuschauer an durchschnittlichen Spieltagen ausblieben. In der Presse war zu lesen, dass die Zuschauer die noch kämen, sich in den Weiten des Stadions verlieren und die 90 Minuten isoliert abfrieren würden. Eine solche Ausgangssituation verhindere eine gute Atmosphäre oder Stimmung. Hertha brauche also ein neues, ein „echtes Fußballstadion“, bei dem die gute Atmosphäre vorprogrammiert ist. Finanziell und sportlich könne es damit nur aufwärts gehen für Hertha. Die Diskussion überschlug sich.

Wo sollte das Stadion gebaut werden? So lautete eine viel diskutierte Frage. Tempelhof, Drei Linden, neuerdings ein Feld im benachbarten Brandenburg. So lauten die Antworten. Eine kurze Zwischenfrage nach der Finanzierung – denn eigentlich hat Hertha noch ausreichend „Verbindlichkeiten“, also kein Geld, welches der Bund und der Senat schon gar nicht haben – wurde abgebrochen. Nun will Hertha eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, die darauf Antwort geben soll.

Es geht also um die Frage, weshalb das Stadion nicht voll ist. Fehlende Atmosphäre und die bauliche Beschaffenheit sind schnell gesagte Antworten. Das Hertha aber oft grausamen Verwaltungsfußball bietet, spielt indes sicher keine unwichtige Rolle. Das Publikum hat wahnsinnig hohe Ansprüche. Wieso überhaupt sollte man sich mit Hertha identifizieren können? Der Fußball ist oft unattraktiv und erfolglos, denn was bedeutet schon ein Sieg im kaum respektierten Ligapokal? Die Vereinsführung wird kritisch beäugt, noch heute sind selbsterklärte Haupterfolge der Vereinspolitik, die Minderung der Folgen von vergangenem Missmanagement, der nahezu gleichen Führung. Die Fans sind unsympathisch, nachtragend, faul und kommen zu großen Teilen aus Sympathie für den Gegner. Anders kann man die Differenz der Zuschauerzahlen von Spielen gegen die Bayern, Dortmund, Bremen, … und denen in der Europacupqualifikation nicht erklären. Was Hertha also eigentlich fehlt ist eine richtige Identität, ein Grund weshalb man wieder kommen sollte, fernab von der sportlichen Attraktivität der Spielansetzung.

Vermutlich hat Hertha das selbst erkannt, doch durch ein neues Stadion entsteht keine Identität und schon gar keine bessere Atmosphäre. Die Atmosphäre im Stadion ist immer noch von den Fans abhängig, die das Stadion bevölkern, nicht von der Beschaffenheit des Bauwerkes. Wieso nennt es jeder deutsche Verein als größtes Ziel, einmal im Pokalfinale im Olympiastadion zu spielen? Wieso war die WM im Olympiastadion unvergesslich? Die Masse im Olympiastadion scheint bei Herthaspielen mehr Stimmung hören zu wollen, als selbst an ihr teilzunehmen. Das ist das große Problem!

Man bedenke nur das Beispiel der Kroaten, die bei der WM im Oberring eine solche Stimmung abbrannten, das man eine Gänsehaut bekam. Oder man denke zurück an die vielen Europapokalabende wie zuletzt gegen Benfica oder zuvor auch schon gegen Apoel Nikosia, Steaua Bukarest und andere Teams, als das Stadion schlecht gefüllt war, trotzdem aber eine fantastische Stimmung herrschte. Auch im Ligavergleich muss sich die Stimmung im Olympiastadion vor den meisten anderen Stadien in Deutschland nicht verstecken.

Das ein „reines Fußballstadion“ nicht gleichbedeutend mit guter Stimmung ist, zeigt das schreckliche Beispiel der geisterhaften Atmosphäre der Arena in München. Das Publikum, dass durch solche Arenen angelockt wird hat mit eigentlichen Fans nämlich kaum noch etwas zu tun. Es kommen Kunden, die Geld für Entertainment ausgeben. Sollten sie nicht ausreichend unterhalten werden, dann suchen sie sich ein anderes Event. Vielleicht Eishockey, Basketball oder gar kein Sport und lieber wieder Pop-Konzerte, Musicals und große Fernsehshows.

Deutschland hat moderne Stadien, doch oftmals fehlt ihnen die wirkliche Besonderheit. Was unterscheidet denn architektonisch deutlich das Stadioninnere von Wolfsburg, Duisburg, Mönchengladbach, Düsseldorf oder Frankfurt? Nichts! Das Olympiastadion hat die Besonderheit auch nach der Welle der Um- und Neubauarbeiten in allen deutschen Stadien der 1.Liga noch ein ganz eigenwilliges, besonderes Aussehen und einen eigenen Charakter zu haben. Nachdem der Sanierung haben wir erst recht eines der schönsten Stadien der Welt und das reicht uns nicht? Eine bessere Infrastruktur (S-Bahn, U-Bahn, Bus, PKW-Parkplätze, Bus-Parkplätze, Autobahnnähe, Citynähe, …) zu suchen ist lächerlich. Eine bessere Nutzung als regelmäßige Bundesligaspiele kann Berlin für das Olympiastadion niemals finden.

Das alles ist die Ausgeburt der totalen Kommerzialisierung eines Volkssports: Es geht immer darum, mehr aus etwas (in unserem Falle aus Hertha) herauszuholen. Es geht nicht um Hertha BSC im eigentlichen Sinne. Man spricht vom „Marktführer Hertha BSC“ der seine Stellung behalten und ausbauen will. Anstatt die wirklichen Probleme des Vereins zu lösen, versucht man die Flucht ins nächste Unheil. Solche Gedanken erzeugen ein peinliches Schamgefühl.

Unsere Hertha hat in 116 Jahren Vereinsgeschichte immer wieder Spielstätten verlassen müssen. Sei es aus sportlichen, sei es aus finanziellen, oder politischen Gründen. Hertha spielte einst auf dem „Exer“, dem Sportplatz auf dessen Gelände heute der Jahnsportpark steht. Hertha spielte auf der Kuhrmann – Sportanlage (auch „Concordia-Platz“ genannt) in Reinickendorf. Hertha spielte in der unvergessenen „Plumpe“ am Gesundbrunnen. Hertha spielte im Poststadion in Moabit und im Sportring Wedding (heute „Hanne Sobek – Sportanlage“). Und Hertha spielte seit 1963, mit Unterbrechungen im Olympiastadion. Als wirkliche Heimat unserer Hertha muss die Plumpe genannt werden. Fragt man heute ältere Herthaner nach dem dortigen „Zauberberg“, kann es passieren, dass man nasse Augen sieht. Doch aus finanziellen Gründen wurde die Plumpe verkauft und ist längst abgerissen. Hertha hatte seine Heimat schmerzhaft verlassen müssen, war das Stadion doch Ort der glorreichen Meisterjahre. Seit bald 50 Jahren spielt Hertha also nun im Olympiastadion. Diese Zeit hat gezeigt, dass dem geschichtlich zu recht umstrittenen Olympiastadion, eine neuer Wind eingehaucht werden konnte: Ein blau-weißer Wind! Die jüngeren Herthafans haben nie ein anderes Stadion erlebt. Hertha ist nicht mehr auf eine Heimatsuche wie damals angewiesen. Hertha hat  im Olympiastadion eine Heimat gefunden und die sollte nicht ungezwungen wieder aufgegeben werden! Identität erhält unser Verein durch den Blick auf die lange Vereinsgeschichte und die Lehre daraus: Hertha muss verlässlich und beständig sesshaft sein.

Ein Fußballspiel bei uns ist nun mal anders als anderswo. Wir sitzen bzw. stehen etwas weiter weg, bei uns läuft es nicht optimal, wir wollen immer das Größte, erreichen aber nicht einmal die Hälfte. Aber sind wir Berliner nicht auch so? Man muss Hertha mit allen Macken lieben lernen, eben genauso wie sie ist (und dazu gehört nun seit vielen Jahren das Olympiastadion), oder man kann sie nicht lieben. Wer ein Spiel von Hertha unerträglich findet, weil nur 20.000 Zuschauer im Stadion sind, dem bedeutet der Verein Hertha BSC nichts! Durch neue, derartige Marketingkonzepte, die sogar ein neues Stadion erwägen, erweckt man keine Identität, im Gegenteil man zerstört was noch an Resten vorhanden ist. Das große Stadion sollte viel eher Ansporn einer jeden Herthamannschaft sein, immer noch besser zu spielen, damit es voll wird und eine Mahnung an jeden Spieler ja nicht mit zuwenig Herzblut und Einsatz für Hertha zu kämpfen. Denn eine Mannschaft die Spiele in einem solch würdigen Rahmen bestreitet muss immer das beste wollen.

Alle Herthafans sollten dafür sorgen, dass den Steinen Leben eingehaucht wird, dann wird niemand auf das Olympiastadion als Heimat von Hertha BSC verzichten wollen. Spieler, Trainer, Verantwortliche und Fans werden immer wieder andere Gesichter bekommen. Was bleibt ist der Name „Hertha BSC“, die blau-weißen Farben, die Herthafahne und in Zukunft hoffentlich unverkennbar: das Olympiastadion. Nur das können Antworten auf die anfangs gestellten Identifikationsfragen sein, weil sie an niemanden gebunden sind, außer einen jeden selbst in der Beziehung zu Hertha. Einen faktischen Grund wiederzukommen gibt es nicht richtig, die Ursache warum wir jede Woche wieder kommen ist ein Gefühl und eine gewissen Zuneigung zum Verein.

Und über Hertha in Brandenburg muss nicht geredet werden. Ein Umzug ins Nachbarbundesland wäre ein Bekenntnis, nichts mit unserer Hertha zu tun haben zu wollen, denn diese gibt es seit 1892 nur in Berlin!

Harlekins Berlin ´98 – im Oktober 2008