Stellungnahme zum Fernbleiben
aus der Kurve

Wie mit Sicherheit jeder mitbekommen hat, war zum vergangenen Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg einiges anders als gewohnt: Die Harlekins Berlin standen nicht wie sonst üblich unten in der Kurve, wir hatten keine Beschallungsanlage aufgebaut und auch unser Banner hing nicht wie sonst zu jedem Spiel vor der Kurve. Es gab keine organisierte Stimmung und die Gruppe verfolgte das Spiel aus dem Oberring – zusammen mit vielen anderen Betroffenen, darunter komplette Gruppen wie die Dynamic Supporters und die Hauptstadtmafia, oder besser gesagt das was von diesen Gruppen übrig geblieben ist.

Einige Tage vor dem besagten Heimspiel wurde von Hertha BSC gegen 34 Personen, welche vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart allesamt in ein so genanntes „Vorbeugegewahrsam“ genommen wurden, ein bundesweites Stadionverbot ausgesprochen. In einer Mitteilung begründete Hertha diese Stadionverbote dann damit, dass die in Gewahrsam genommenen Personen „den Anschein […] erweckten, die VfB-Fans angreifen zu wollen.“ Am S-Bahnhof Olympiastadion, einem ständigen Treffpunkt vor und auch nach den Spielen, kam es an diesem Tag weder zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit gegnerischen Fans noch mit der Polizei. Der „Anschein“ bzw. das erfolgte Vorbeugegewahrsam reichen jedoch laut DFL-Richtlinien für ein bundesweites Stadionverbot aus, handfeste Beweise oder Zeugenaussagen müssen hierzu nicht vorliegen.

An dieser Stelle möchten wir verdeutlichen, dass bisher bei der Anwendung der Richtlinien zur einheitlichen Vergabe von Stadionverboten keine fixen Änderungen bei Hertha BSC vollzogen sind, zur Zeit werden Konzepte ausgearbeitet die wohl einige Änderungen versprechen werden. Wenn in Gesprächen Richtungen aufgezeigt werden, dass Hertha in Zukunft von pauschale Stadionverbote nach dem Gießkannenprinzip Abstand nehmen möchte und Einzelfallprüfung vorgenommen werden sollen, dann haben wir das Gefühl der Verein hat die Anliegen der aktiven Fans verstanden. Wenn jedoch wenige Wochen später solch ein Fall eintrifft und der Verein stur nach alten Richtlinien handelt, dann kann man unsere Resignation und Enttäuschung vielleicht etwas nachvollziehen.

Hertha BSC ist für uns eine Herzensangelegenheit, in die wir sehr viel Zeit, Engagement und Geld stecken. Eine Liebe funktioniert allerdings nur, wenn sie von beiden Seiten getragen und geachtet wird. Doch wie soll das geschehen, wenn man oft das Gefühl hat nur unliebsamer und geduldeter Fan zu sein? Öffentlich wird seitens des Vereins mit ominösen Leserbriefen, Zeitungskommentaren und ungehaltenen Äußerungen bei Mitgliederversammlungen auf uns eingehauen, doch wann hat der Verein mal öffentlich hinter uns gestanden, uns den Rücken gestärkt und auf Missstände wie überzogene Polizeieinsätze oder fehlgeleitetes Ordnerverhalten aufmerksam gemacht? Zur Fanarbeit gehört auch Verständnis für Problematiken an der Basis zu zeigen und diese Probleme dann auch anzugehen. Nicht nur die Fanbetreuung ist hier gefordert, sondern auch andere Verantwortungsträger im Verein. Der Umgang mit Fans und Mitgliedern ist teilweise katastrophal, vielen Herthanern fällt es momentan schwer sich mit dieser Hertha zu identifizieren. Aktive Arbeit von und mit Fans findet kaum statt und somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die treue Fangemeinde trotz einer Millionenstadt wie Berlin recht beschaulich ist.

Wir sind Ultras! Für viele Fans ist dieser Begriff nicht verständlich und man sieht uns nur als Stimmungskern der Ostkurve, doch Ultra ist viel mehr! Ultra ist eine Fan- bzw. Subkultur, eine Lebenseinstellung! Wir kämpfen für ganz normale Freiheiten um unser Kultur im Stadion ausleben zu können. Wir wollen nicht eines Tages ins Stadion kommen und miterleben, dass Fahnen, Trommeln oder Megaphone verboten sind! Wir wollen nicht erleben, dass das Stehen in der Kurve untersagt ist und man beim Torjubel mit dem Rausschmiss aus dem Stadion rechnen muss! Wir versuchen der Bürokratie und den Vorschriften entgegen zu wirken die uns Woche für Woche wie große Hürden im Weg stehen! Denn wann kann man noch von Fankultur sprechen? Wenn sie eigenständig ist und nicht durch Vorschriften und Auflagen unnötig eingeengt wird. Kommt es irgendwann dazu, dass sich in Deutschland das „Englische Modell“ durchsetzen wird, dann ist die Fankultur gestorben, der Kampf verloren – dann zählt wirklich nur noch der aktuelle Kurs einer Fußball-Aktiengesellschaft und die totale Überwachung der Kurven. Wir stehen im Fokus, gerade weil wir anders sind und uns nicht den aktuellen Zeichen der Zeit hingeben, weil wir offensiv für Rechte und Gerechtigkeit kämpfen und auch nicht immer den einfachen Weg wählen. Wir sind keine Engel und pflegen sowohl Freundschaften als auch Rivalitäten ein wenig extremer als es einigen Leuten lieb ist, doch deshalb lassen wir uns nicht pauschal kriminalisieren oder unterdrücken.

Für uns ist Hertha BSC eben nicht um jeden Preis 90 Minuten Stimmung zu machen und Choreografien zu organisieren. Wir sind keine Entertainer für das allgemeine Publikum oder den Rest der Kurve. Wir leben nach Idealen, denen wir treu bleiben, wobei dann auch mal die Stimmung im Hintergrund stehen muss. Manch einer wird meinen, die Unterstützung des Vereins sollte oberstes Ziel sein. Das ist richtig, doch wir können nicht um jeden Preis weitermachen, die Wunden sind noch längst nicht verheilt. Unser Ziel einer freien und unabhängigen Kurve sehen wir momentan stark gefährdet, deshalb gilt unsere ganze Kraft jetzt dem Kampf gegen diese Entwicklung. Wir bleiben unseren Idealen weiterhin treu und weisen offensiv auf bestehende Missstände hin, wir wollen etwas bewegen, in den Köpfen der Kurve und in den Büros der Verantwortlichen!

Es ist verständlich, dass viele von euch nun wissen möchten wie es weitergeht. Wir möchten uns an dieser Stelle für die zahlreichen Nachfragen bedanken und gleichzeitig entschuldigen, dass wir nicht jeden persönlich und ausreichend informieren konnten. Viele hoffen, dass die Rückkehr in die Ostkurve lieber gestern als heute erfolgt, doch wir können euch momentan leider keine neuen Ergebnisse mitteilen. Klar ist momentan nur, dass wir uns zum heutigen Spiel gegen Borussia Dortmund weiterhin nicht in der Lage sehen zum Alltag in der Ostkurve zurückzukehren.

Viele Kurvenbesucher verstehen uns sehr schwer oder gar nicht, was wir ihnen nicht vorwerfen wollen, weil sie unsere Art den Fußball zu leben einfach nicht kennen und es für viele Menschen nicht greifbar ist. Wir sind sicher nicht perfekt und passen auch nicht in jedes gewünschte Schema, dennoch haben wir immer alles für Hertha BSC getan und wollen auch weiterhin alles für unseren Verein geben. Vielleicht ist nicht jeder Schritt den wir gehen der Richtige und auch wir machen Fehler, aber vielleicht kommt irgendwann der Tag an dem wir verstanden werden und man uns für unsere geleistete Arbeit auch mal Respekt zollt, anstatt immer nur dann zu reden, wenn es mal wieder ein Problem gibt …

Wir haben Hertha BSC um ein klärendes Gespräch mit entscheidungskräftigen Leuten des Vereins gebeten, worauf es bis jetzt noch keine konkrete Reaktion gab. Wir erhoffen uns ein gemeinsames Entgegenkommen. Wir wollen nicht um jeden Preis auf Konfrontationskurs gehen, sondern nach langfristigen Lösungen suchen. Mit dem Verein – für den Verein – für die Ostkurve!

Harlekins Berlin ´98 – im September 2007