Standpunkt zum Thema Stadionverbotsrichtlinien

Stadionverbote als ein fragwürdiges Strafrecht einer Paralleljustiz in Form des DFBs sind aus den im Folgenden aufgeführten Gründen in Gänze abzulehnen. Stadionverbote werden als eine präventive Maßnahme zur Gewalteindämmung angesehen und stellen juristisch gesehen keine Strafe dar. Unter dieser Voraussetzung muss die Tat, die dem Betroffenen vorgeworfen wird, nicht bewiesen sein. Wäre ein Stadionverbot als Strafe definiert, müsste ein konkreter Schuldnachweis erfolgen, welcher in vielen Fällen ausbleibt. Unabhängig davon ist es sehr fraglich wie ein Verbot für den Betroffenen, für den der Fußball zumeist ein großer Bestandteil seines Lebens ist, keine Strafe darstellen soll. Außerdem erschaffen und provozieren Stadionverbote unkontrollierbare Situationen und fördern keine gedankliche Auseinandersetzung der Betroffenen mit kritischen Situationen.

Auch der rechtsstaatliche Grundsatz der Unschuldsvermutung sei hier erwähnt. Betroffene haben als unschuldig zu gelten, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Dies ist evident nicht der Fall, da in den meisten Fällen Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet werden. Und selbst wenn einem Betroffenen eine Straftat vorgeworfen wird, hat dieser bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten. Bevor dieses nicht geschehen ist, dürften eventuelle Maßnahmen und Strafen, auch die einer präventiven Maßnahme, wie angeblich die des Stadionverbots, nicht in Betracht gezogen werden. Solche Stadionverbote „auf Verdacht“ als präventive Maßnahme, und der daraus resultierenden Vorverurteilung, ist mit unserem Rechtsverständnis nicht vereinbar. Auch die Wahrnehmung von Stadionverboten auf die Betroffenen selbst kann nicht außer Acht gelassen werden und nimmt in unserem staatlichen Rechtssystem einen wichtigen Platz ein.

Stadionverbote werden als zusätzliche Strafe verstanden und auch so angewendet. Aus diesen Gründen können Stadionverbote kein Mittel sein, mit dem Fußballfans neben dem eigentlichen Strafrecht zusätzlich bestraft und Menschen ohne erwiesene Schuld vorverurteilt werden. De Facto wird hier die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt Unserer Auffassung nach hat sich der DFB in der Vergangenheit als Staat im Staat manifestiert und sich zunehmend von geltendem Recht entkoppelt. Hinzu kommt, dass Nach der grundsätzlichen Kritik am System der Stadionverbote, wollen wir im Weiteren nur auf die gravierendste Kritik an den Stadionverbotsrichtlinien eingehen und lehnen, ungeachtet der bisher aufgeführten Argumentation, folgende Punkte besonders ab.

1. Vergabepraxis

In vielen Fällen werden Stadionverbote ohne einen wirklichen Zusammenhang mit der Fußballveranstaltung erteilt. Gemäß § 1 Absatz 1 der Stadionverbotsrichtlinien ist Voraussetzung eines wirksamen Stadionverbots das „sicherheitsbeeinträchtigende Auftreten im Zusammenhang mit dem Fußballsport“. Hier drängt sich die Frage auf, wieso der DFB entgegen seiner eigenen Regeln das, im Übrigen oftmals strafrechtlich nicht relevante, Verhalten von Privatpersonen beurteilt und sanktioniert. In dieser Form kann die Erteilung von Stadionverboten wieder nur als Ersatzstrafrecht des DFB bewertet werden. Die Einbeziehung von Vergehen außerhalb des Stadions kann als völlig unsinnig angesehen werden, wenn man dem Gedanken, dass ein Stadionverbot eine Präventivmaßnahme darstellt, folgt. da Ein Betretungsverbot des Stadions hindert diejenige Person nicht an einer etwaigen Wiederholung einer tatsächlich begangenen Tat außerhalb eines Stadions. Ingewahrsamnahmen ohne eingeleitete Ermittlungsverfahren sind oftmals dem präventiven Bereich zuzuordnen und so hängt ein mögliches Stadionverbot von der Laune des örtlichen Einsatzleiters ab. Demnach wird eine präventive Maßnahme mit einer angeblich weiteren präventiven Maßnahme bestraft. In diesem Zusammenhang geschehen oftmals Schnellschüsse der Polizei, in dem eine solche eine Ingewahrsamnahme erfolgt, obwohl keinerlei Straftaten begangen wurden und bevorgestanden haben. Allein der Umstand, dass gegen den Betroffenen einmal ein staatliches Verfahren eingeleitet wurde, kann darüber hinaus auch keine Grundlage für eine Gefahrenprognose darstellen.

Soweit also das verdachtsbegründete Stadionverbot lediglich auf einem Anfangsverdacht beruht, ist es nach rechtstaatlichem Verständnis kaum haltbar. Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist hierfür in keinem Fall ausreichend. Stadionverbote können aber auch ohne Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausgesprochen werden. So kann beispielsweise die „aktive Unterstützung“ des Abbrennens von Pyrotechnik ebenfalls mit Stadionverbot bedacht werden. In den Erläuterungen wird als eine mögliche aktive Unterstützungshandlung das Hochhalten eines Doppelhalters genannt, hinter dem Pyrotechnik gezündet wird. Ob der Doppelhalter aus diesem Grund hochgehalten wurde oder ob das Hochhalten des Doppelhalters als normaler Stadionvorgang gesehen wird, dürfte dabei von der Laune des Sicherheitsbeauftragten abhängen. Da keine strafbare Handlung vorliegt, ist dem Betroffenen der Rechtsweg verbaut. Die Grundlagen für ein Stadionverbot sind viel zu schwammig und unklar formuliert. Auch § 4 Abs. 4 ermöglicht, sicherheitsbeeinträchtigendes Verhalten auch abseits einer strafbaren Handlung, einer Verletzung der Menschenwürde oder einem schweren Verstoß gegen die Stadionordnung herbei zu definieren. Auf welcher Grundlage der Nachweis dafür erbracht werden soll, bleibt unklar.

Wir müssen ebenfalls die Frage stellen, ob ein Fußballverband allen Ernstes für sich in Anspruch nehmen kann, konsistent und allgemeingültig zu definieren, wann eine Verletzung der Menschenwürde beispielsweise aufgrund der Herkunft erfolgt. Ist ein skandiertes „XYZ-Stadt Arschlöcher“ schon genug? Wie wird mit den im Fußballkontext üblichen Abwertungen des Gegners umgegangen? Wie soll sichergestellt werden, dass an allen Fußballstandorten nach dem gleichen Prinzip die gleichen Äußerungen geahndet werden? Und zwar alle? Wer leitet ein Stadionverbotsverfahren ein? Eine Richtlinie, die so allgemein ist, kann nur in Willkür, Intransparenz und Wahnsinn Ungerechtigkeit enden. Ein weiterer Grund, weshalb es keine Stadionverbote geben darf und besonders dann nicht, wenn keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, ist die Tatsache, dass die Verfahren meistens sehr lange dauern und somit die Schuld oder Unschuld des Verdächtigten erst sehr spät festgestellt werden kann.

So kommt es in vielen Fällen dazu, dass Betroffene nachweislich zu Unrecht ausgesperrt sind, was wiederrum zu Frustration und Aggression führen kann. Die Polizei ist sich dessen bewusst und bittet bzw. drängt die zuständigen Stellen bei solchen eingeleiteten Verfahren auf Verhängung eines Stadionverbots. Die Vereine kommen dieser Bitte oftmals ohne genaue Prüfung des Falles uneingeschränkt nach, da die Polizei hohen Druck auf den Verein oder den DFB ausüben kann. Die Vereine sind auf eine funktionierende Kooperation mit der Polizei angewiesen und befinden sich auch unter öffentlichem Druck, welcher oft von der Polizei und Politik mitgeprägt wird, wenn sie Empfehlungen der Polizei nicht folgen. Die Polizei nutzt ihre Einflussmöglichkeiten bei Stadionverboten zum Abstrafen von Fans, da der Rechtsstaat oftmals kein eigenes Repressionsmittel, das so leicht umsetzbar ist, besitzt bzw. überhaupt vorsieht. So sind die rechtlichen Hürden bei Bereichsbetretungsverboten deutlich höher. Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass viele dieser Bereichsbetretungsverbote (auch gegen Stadionverbotler) vor Gericht gekippt wurden.

2. Laufzeiten

Auch die Laufzeiten sind stark zu kritisieren, da sich niemand anmaßen dürfte, das Verhalten eines Menschen für die nächsten Jahre, im schwersten denkbaren Fall fünf Jahre, zu prognostizieren? Bei einer solchen Zeitspanne von einem präventiven Charakter zu sprechen ist schlicht absurd. Eine Gefahrenprognose des Betroffenen, um die es letztendlich geht, muss sich immer an den aktuellen Lebensumständen orientieren. Der Staat selbst setzt sich deutlich höhere Grenzen bei solchen Prognosen, als es der DFB in seinen Richtlinien vorsieht. Sozialpädagogen oder Psychologen könnten aufgrund jahrelanger Berufserfahrung und mehrerer persönlicher Gespräche mit der Person eventuell eine Aussage zu einem aktuellen Zeitpunkt treffen. Ein Sicherheitsbeauftragter, der nur die schriftliche Stellungnahme des Betroffenen und die der Polizei kennt, sollte etwas dezenter mit solchen Prognosen sein. Selbstredend wird durch die größere Spannweite der Dauer die Transparenz und Konsistenz in den Entscheidungen nicht erhöht. Müssen Betroffene eine Haftstrafe absitzen, ruht in dieser Zeit das Stadionverbot und es läuft nach der Haftzeit weiter. Eine Gefahrenprognose könnte gerade in solchen Fällen nur nach einer weiteren aktuellen Beurteilung getroffen werden.

3. Anhörung

Die Entscheidung über die Verhängung eines Stadionverbotes ist immer vom Bezugsverein des Betroffenen zu fällen. Es ist anzunehmen, dass die erantwortlichen des Vereins die Person besser kennen und durch die Fanbetreuung und das örtliche Fanprojekt leichter Informationen über sie einholen können. Ein anderer Verein interessiert sich in der Regel auch wenig für die Belange eines gegnerischen Fans, wodurch schon hierdurch ein entscheidender Nachteil für den Betroffenen entstehen kann. Des Weiteren ist es für einen Fan leichter, sich an den „eigenen“ Verein zu wenden als an einen anderen. Demzufolge kann so die Entscheidung über die Verhängung des Verbotes wesentlich differenzierter und glaubwürdiger getroffen werden.

Ein Beleg für diese Einschätzung ist, dass fast alle Stadionverbote gegen Auswärtsfans ausgesprochen werden, obwohl Auswärtsfans nach Einschätzung der Polizei im Vergleich zu Heimfans nicht als entscheidend gefährlicher eingestuft werden. Vor Verhängung eines Stadionverbotes soll der Betroffene außerdem eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Dem Betroffenen wird innerhalb einer Frist von wenigen Wochen das Recht auf eine schriftliche Stellungnahme zugebilligt. Dies klingt erst mal gut, ist aber nicht unproblematisch. Sollte dem Stadionverbot ein Strafverfahren zu Grunde liegen, wird in vielen Fällen der anwaltliche Rat lauten, keine Angaben zur Sache zu machen und erst recht keine schriftliche Stellungnahme zu
verfassen. Vereinsvertreter aber auch Fanbeauftragte oder Fanprojektmitarbeiter könnten vor Gericht als Zeuge geladen werden, ganz zu schweigen von der Polizei selbst, welche ebenfalls Stellung auf die Anhörung nehmen darf. Auf diese Weise wird das ureigene Recht von Beschuldigten, nämlich zu einem Tatvorwurf zu schweigen, perfide durch die Hintertür ausgehebelt. Eine Anhörung bei Stadionverboten kann aus rechtsstaatlicher Sicht also nie Angaben über Situationen enthalten, welche zu den Vorwürfen geführt haben. Davon abgesehen ist es auch sehr fragwürdig wie weit sich Vereine überhaupt mit einer individuellen Anhörung auseinandersetzen und diese somit tatsächlichen Einfluss auf eine mögliche Aussprache eines Stadionverbotes hat.

4. Datenweitergabe

Grundsätzlich kann die datenschutzrechtliche Frage gestellt werden, wie der DFB, ein “gemeinnütziger” privatrechtlicher Verein, überhaupt an entsprechende Vorkenntnisse über die Betroffenen gelangt, zudem es sich auch in einigen Fällen nur um gefahrenabwehrrechtliche Erkenntnisse handelt. In anderen Konstellationen wäre eine Weitergabe dieser Daten an privatrechtliche Personen oder Konstrukte undenkbar. Es ist fraglich, inwiefern eine Liste über Personen mit Namen, Anschrift, Dauer und Grund des Stadionverbots geführt werden darf, wenn die Richtigkeit des Grundes für das Stadionverbot nicht bewiesen ist.

5. Aussprache von Stadionverboten durch den DFB

Momentan werden Stadionverbote außerhalb eines Stadions vom DFB ausgesprochen und Anhänger eines Vereins mit dieser Maßnahme sanktioniert. Es werden hierfür alle Ereignisse herangezogen, bei welchen ein Bezug zum Fußball konstruiert werden kann. Jeder Fußballfan ist also grundsätzlich immer einer zusätzlichen Bestrafung durch den DFB ausgesetzt. Es ist eindeutig und ausschließlich die Aufgabe des Staates gegen Rechtsverstöße seiner Bürger vorzugehen, wenn diese außerhalb der Stadien vorliegen.

6. Bundesweite Stadionverbote

Ereignisse, welche in einem örtlichen und situativen Kontext stehen, dürfen nicht pauschal und beliebig auf jeden Verein und jedes Stadion in Deutschland übertragen werden. Es findet keine individuelle Prüfung statt, ob vergleichbare Situationen überhaupt auf andere Vereine und ihre Stadien übertragbar sind. Die unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten und individuellen Sicherheitskonzepte der standortbezogenen Sicherheitspartner finden keine Betrachtung bei der Vergabe

Die Fanszenen Deutschlands im Dezember 2017