Interview mit Quote (Harlekins Berlin’98)

Kay erwähnte neulich fast beiläufig, dass Carsten Grab einer der Gründungsväter der Harlekins Berlin 98 sei. Diese kleine Randnotiz wollte mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich über Carsten kaum mehr wusste als seine Berufsbezeichnung über ihn verriet – Fanbeauftragter bei Hertha BSC.

Und so wird es wahrscheinlich vielen von euch gehen – kein Wunder über sieben Jahre ist es nun her, als Carsten sich am 17. Oktober 2000, im Alter von 30 Jahren, das Leben nahm. Viele von euch werden, wie ich, Carsten nie gekannt haben. Wir veranstalten in jedem Winter ihm zu Ehren ein Gedenkturnier, wobei viele der Mitspieler und Zuschauer keine Ahnung haben um wen es sich dabei handelt, wer Carsten war und was ihn so einzigartig machte.

In Bremen war es dann wieder soweit, wir erinnerten mit der großen „In Gedenken an Carsten Grab“ – Fahne an unseren verstorbenen Bruder. Aus diesem Anlass haben wir ein Interview mit Quote, seines Zeichens Mitglied der Harlekins Berlin und Herausgeber des Hans Wurst, geführt. Er kannte Carsten gut und konnte sein Wirken in Form der Fanbetreuung und in Bezug auf die Harlekins Berlin noch miterleben.

Erinnerst du dich noch wann und wie du von Carstens Selbstmord erfahren hast?

Leider sehr genau. Ich ging grad vor die Tür um eine zu rauchen, als Roman – damaliger Capo, mich anrief. Er fragte: „Hast Du schon gehört?“. Als ich die Frage verneinte, erzählte er mir dass Carsten sich das Leben genommen hatte. Nachdem das Gespräch beendet war, sackte ich in mir zusammen und saß auf meiner Treppe und vor meinem geistigen Auge liefen alle Erinnerungen und Szenen ab, an denen Carsten teilgenommen hatte.

Anschließend an die einleitenden Worte würden wir gern wissen, welchen Einfluss Carsten auf die Entwicklung der Berliner Ultraszene, im speziellen natürlich auf die Entwicklung der Harlekins Berlin hatte?

In der Zeit als Carsten Fanbeauftragter war, waren die Harlekins quasi tot. Nachdem sich die Gründer der Gruppe anderen Betätigungsfeldern beim Fußball gewidmet hatten, waren nur noch wenige Leute und noch weniger Aktive in der Gruppe. Schon vor seiner Arbeit im Verein war Carsten ein Teil der Gruppe und stetiger Unterstützer. Bevor er Fanbeauftragter wurde, gab er das Berliner Sport Echo raus und war bei etlichen Spielen der alten Dame vor Ort. Mit seinen Kontakten organisierte er Materialien um Choreos zu organisieren. Nicht allen Mitgliedern gefiel aber das Engagement.

Mit Blick auf die gegenwärtig doch schwierige Beziehung zur Fanbetreuung kannst du uns vielleicht etwas über seine Tätigkeit/Probleme als Fanbeauftragter bei Hertha erzählen?

Ich denke das Fanbetreuer sein, eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt ist. Damals war es wahrscheinlich noch schwerer, da nach dem Aufstieg die Leute wieder ins Stadion strömten. Carsten war damals alleine, heute sind es bis zu 6 Leute. Außerdem stehst du in dieser Situation, immer zwischen den Stühlen. Das heißt, auf der einen Seite bist du Angestellter des Vereins und musst in seinem Sinne handeln, auf der anderen Seite bist Du Fan und Sprachrohr von etlichen weiteren Aktiven der Fanszene, denen einige Sachen, welche im Verein ablaufen sauer aufstoßen. Du musst vermitteln. Du musst den Kopf hinhalten wenn mal wieder Rauch gezündet wurde oder sich jemand daneben benimmt.

Carsten war nicht nur der Alten Dame eng verbunden, sondern war auch bei den Eisbären und beim HSV ein immer wieder gern gesehener Gast. Wie standet ihr dazu?

Es gab immer wieder Anspielungen, die nie drohend waren. Natürlich ist es komisch wenn jemand, mehrere Vereine die Daumen hält, sogar in anderen Sportarten. Doch um ein Magazin wie das BSE herauszubringen und das Sportgeschehen in Berlin darzustellen, verlangt es danach über den Tellerrand zu gucken. Wenn Carsten bei Hertha war, ist er nie mit Symbolen anderer Vereine hausieren gegangen und wenn der HSV zurücklag, wurde er ausgelacht, wenn er führte, wurde  ihm auf die Schulter geklopft. In diesen Augenblicken war Hertha sowieso das wichtigste.

Beim HSV war Carsten Mitbegründer des heute einflussreichen und 14.000 Mitglieder starken Supporters Club e.V. Was waren seine Ideen bei der Gestaltung von Fanpolitik?

Da ich keinen direkten Einblick in die Arbeit der Supporters habe kann ich das nur vermuten bzw. meine Erfahrungen bei Hertha wiedergeben. Auch bei uns gab es mehrere Versuche einen so genannten Dachverband zu gründen, welcher ähnlich wie der Supporters Club arbeitet, ohne allerdings Teil des Vereinslebens zu sein, vorerst. Die Idee besteht ja meistens darin, das die Fans mehr Einfluss auf die Arbeit im Verein bekommen, was grenzwertig ist, da der geneigte Kurvengänger nicht mit Millionen jonglieren kann. Hauptsächlich ging es darum, die Fans zu stärken. Sie einzubringen, bei Themen die hauptsächlich sie betreffen.

Carsten war Herausgeber des Berliner Sport Echos und des Spreebären. Vielleicht kannst du uns kurz einen Einblick in die Schwerpunkte und den besonderen Stil dieser Hefte geben!?

Das Berliner Sport Echo war ein vereinsübergreifendes Fanzine der Berliner Sportlandschaft. Das Hauptaugenmerk lag beim Fußball und dort bei den 4 (teilweise damals) großen Berliner Vereinen Hertha BSC, Union, BFC Dynamo und Tennis Borussia. So wurde von etlichen Spielen, sowohl Heim als auch Auswärts berichtet, Hallenturniere und auch Länderspiele kamen nie zu kurz. Außerdem wurde über die Eisbären, zum Teil auch die ehemaligen Preussen, sowie auch über Alba im Basketball berichtet. Das Heft war ähnlich einer „echten“ Sportzeitschrift, mit Schlagzeilen, Berichten und Reportagen und natürlich massig Bildern. Seit meinem ersten Tag bei Hertha habe ich die Hefte verschlungen und war sehr traurig als es nach 15 Ausgaben in 3 Jahren, eingestellt wurde. Nach und nach habe ich mir die fehlenden Hefte besorgt und das BSE ist nicht ganz unschuldig daran das es das Hans Wurst gibt.

Nach seinem Freitod treten natürlich immer Fragen nach dem warum auf. Hast du/habt ihr in den letzten Wochen vor seinem Tod Veränderungen in seinem Verhalten erkannt? In den Medien wurde viel über mögliche Gründe für den Freitod spekuliert. Tenor der meisten Artikel war, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zum Fußball gegeben hat. Zu welcher Einschätzung seid ihr damals gekommen?

Die Gründe dafür waren damals und sind bis heute nicht nachvollziehbar. Ich persönlich habe keine Veränderung in seinem Verhalten mitbekommen. Natürlich waren da Differenzen mit anderen Fans oder Mitglieder der Gruppe und natürlich war Stress mit dem Arbeitgeber, aber ob das letztlich der ausschlaggebende Grund war, darüber möchte ich nicht spekulieren. Nach seinem Tod wurde soviel Falsches und Gelogenes geschrieben, ohne auch nur zu versuchen die Gründe zu hinterfragen oder vernünftig zu recherchieren. Das hat das Verhältnis gegenüber der Presse weiter verschlechtert. Abschließend ist zu sagen, dass es ohne Carsten Grab heute keine Harlekins mehr geben würde. Obwohl er mit Gegendwind zu kämpfen hatte, war es ihm am Ende immer das wichtigste eine gute Außendarstellung des Vereins zu erreichen, sei es durch Choreographien, Stimmung im Stadion oder durch Aufklärung gegenüber der Presse. Die Gruppe hat ihm und seiner Arbeit viel zu verdanken und ich finde es daher sehr wichtig, immer wieder seiner zu Gedenken und auch an die jüngeren und neuen Mitgliedern die Geschichte Ihrer „Vorfahren“ weiterzugeben. Denn: Man ist erst tot, wenn man vergessen ist! Also sollten wir alles dafür tun, das dies nicht passiert!

Herzlichen Dank für das Interview!


Nachruf an Carsten Grab, Fanbetreuer von Hertha BSC, Freund des Fußballs und des Eishockeys, Herausgeber des Berliner Sportechos, des Spreebären und unzähliger anderer Publikationen oder einfach einen Freund.

Gestern habe ich es erfahren, heute stand es in der Zeitung, kam es in den Nachrichten, vielleicht werde ich morgen realisieren, dass du nicht mehr da bist, aber verstehen werde ich es wohl nie.

Du warst immer 24 Stunden im Dienst von Hertha BSC und des Fußballs, hattest Visionen, hast Visionen umgesetzt, standest hier und dort auch mal vor verschlossenen Türen, hast aber immer ordentlich deine Arbeit gemacht, im Sinne der Fans, im Sinne des Vereins, im Sinne des Fußballs, du hast in deinem kurzen Leben soviel erreicht.
Du hattest für jeden und alles ein offenes Ohr, hast dich für jeden und alles eingesetzt, egal ob es um Stadionverbot, eine Fanaktion, eine Auswärtsfahrt oder persönliche Probleme ging, hast noch so unwichtige Fragen, wie etwa nach dem nächsten Training oder dem Geburtsdatum von Sebastian Deisler beantwortet. Du hast unter anderem das Berliner Sportecho als interessantestes Berliner Fanmagazin herausgegeben und verbreitet, Fanclubs geleitet, Fahrten organisiert.
Du hast in deiner kurzen Zeit als Fanbeauftragter die größte Choreographie Europas organisiert, hast den schon lange geplanten Dachverband ins Leben gerufen, hast mit Fans zusammengearbeitet und dich auch mit ihnen auseinandergesetzt, hast viele frohe Stunden mit ihnen erlebt, hast aber sowohl von Vereins- als auch von Fanseite viele Rückschläge einstecken müssen. Du könntest mit deinen Sporterlebnissen (egal ob mit Hertha BSC, dem BFC Dynamo, dem HSV, den Eisbären, der Nationalmannschaft oder anderen) Buchbände füllen und hast dabei die Welt kennen gelernt.

In letzter Zeit hast du dich zurückgezogen, es gab auch Meinungsverschiedenheiten. Für den einen warst du zu sehr Verein, für den Verein zu Fan. Es war sehr schwer diese Dinge unter einen zu Hut zu bringen, an allen Fronten zu kämpfen, du wolltest dich beruflich neu orientieren. Man spricht von gesundheitlichen Problemen und Drohungen.

WARUM DU? Warum kam nie ein Warnsignal? Oder haben wir es bloß nie verstanden?

Wir müssen uns fragen, was wir hätten anders machen können. Nein, hätten anders machen müssen! Und wir müssen vor allem eines tun: Dir die letzte Ehre erweisen und dich so in Erinnerung behalten, wie du warst. Ein FREUND. Ein VORBILD.

RUHE IN FRIEDEN.

Wir werden dich sehr vermissen

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Nachruf (2002)
Carsten, Du fehlst UNS einfach!
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Marc Hülsmann
Undercover Berlin ’98
Harlekins Berlin ’98